Die Schattenseite beim Super Bowl (2024)

Als beim Super Bowl 2017 an diesem Sonntag die New England Patriots auf die Atlanta Falcons trafen, schalteten wieder Millionen Amerikaner ein. Aber das beliebte Spektakel hat eine Seite, die der Sport lieber verdrängen würde.

Von Timothy Collins

Amerikaner lieben Football. Als nun im Super Bowl 2017, dem Finale der NFL, die zwei besten Teams des Landes aufeinander trafen, sahen wieder Millionen dabei zu, wie sich die Männer beim Kampf um den Ball die Köpfe einrannten. Dass die Sportler dabei ihre Gesundheit riskieren, sieht kaum ein Fan. Aber höchstwahrscheinlich ist auch in dieser Begegnung mindestens ein Spieler mit einer Gehirnerschütterung vom Feld getaumelt. Trauriger Alltag in der NFL.

Mehrere Tausend ehemalige Profi-Spieler verklagten bereits die Liga. Ihr Vorwurf: Die NFL verheimlicht die Gefahren von Gehirnerschütterungen bewusst vor den Spielern. Im Football erleidet ein sogenannter "Offensive Lineman" - ein Spieler, der an vorderster Front in der Offensive steht und den Quarterback schützt - bis zu 60 Kopf-gegen-Kopf-Kollisionen pro Spiel. Jede dieser Erschütterungen kann ähnlichen Schaden im Gehirn anzurichten, als würde dieser Spieler mit einem Auto bei fast 50 km/h gegen eine Wand fahren. Nur wer würde das jenseits des Sportplatzes freiwillig tun?

Verbindung zwischen Krankheit und Football

Denn die wiederholten Schläge und Erschütterungen gegen den Schädel haben offensichtlich schwere Langzeitfolgen. Laut einiger Studien stehen sie im Verdacht, die neurologische degenerative Gehirnerkrankung "Chronisch-traumatische Enzephalopathie" (CTE) auszulösen. CTE, auch bekannt als Dementia pugilistica, kommt besonders häufig bei Boxern und Football-Spielern vor. CTE kann Gedächtnisverlust, Depressionen und Demenz zur Folge haben. Das größte Problem: Nachgewiesen werden kann die zerstörerische Krankheit erst nach dem Tod durch Feinschnitte des Gehirns. Für die Betroffenen kommt diese Diagnose leider zu spät, eine Heilung ist nicht möglich.

Die erste Verbindung zwischen der Krankheit und Football stellte der Arzt Bennet Omalu im Jahr 2002 her, als er das Gehirn des an einem Herzinfarkt verstorbenen 50-jährigen NFL-Spielers Mike Webster untersuchte. Er fand darin Klumpen von Tau-Proteinen - Eiweißstoffe, die in defekter Form dem Nervensystem schaden. Und die auch bei der neurodegenerativen Krankheit Dementia puglistica gefunden werden. Die neu entdeckte Schädigung im Gehirn des Footballers nannte er "Chronisch-traumatische Enzephalopathie".

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Im Jahr 2005 veröffentlichte er seine Untersuchungsbefunde in der Fachzeitschrift "Neurosurgery". Im selben Jahr beging der 45-jährige ehemalige NFL-Spieler Terry Long Selbstmord, vermutlich als Folge schwerer Depressionen - in seinem Gehirn stellte Omalu dieselben Veränderungen fest. Die NFL-Spitze reagierte auf Omalus Untersuchungen mit großer Ablehnung. Statt die Spieler besser zu schützen, forderten sie die Zurücknahme seines Artikels. Ihrer Meinung nach sei Omalus Beschreibung der Krankheit gänzlich falsch und es lägen nicht genügend Beweise für seine Annahme vor.

Aber Omalus Theorie von der Zerstörung der Gehirne durch die Erschütterungen und Schläge beim Football erhielt Unterstützung von prominenten Ärzten wie Dr. Julian Bailes vom angesehenen Sports Concussion Institute, Los Angeles und Dr. Kevin Guskiewicz von der renommierten University of North Carolina. Sie alle zogen ebenfalls den Schluss, dass Gehirnerschütterungen, die Footballspieler während ihrer Karriere erleiden, zu Depressionen führen können. Es war keine Überraschung, dass die NFL auch diese Vorwürfe als haltlos von sich wies.

Inzwischen haben über 5000 ehemalige NFL-Spieler die Liga verklagt, weil die die Gefahren von Gehirnerschütterungen bewusst geheim gehalten habe. Der Prozess schaffte es bis vor den Supreme Court, dem höchsten Gericht der USA. Ursprüngliche musste die NFL im Jahre 2013 nach dem Verfahren $765 Millionen Dollar bezahlen. Nach aktuellen Schätzungen werden sie aber wohl über $900 Millionen an ehemalige Spieler ausgeben müssen, da die NFL sich im April 2016 dazu bereit erklärt hat, einen unbegrenzten Betrag an Schadensersatz zu leisten. Im September letzten Jahres spendete sie $100 Millionen an Forschungsprogramme für Gehirnerschütterungen.

Super Bowl 2017: Zeiten der Verleugnung sind vorbei

Die Zeiten in denen die NFL, die wissenschaftlichen Fakten verleugnen und ignorieren kann, sind vorbei. Vor ein paar Monaten gab der Sicherheits- und Gesundheitschef der NFL zum ersten Mal den Zusammenhang zwischen der Krankheit und dem Sport zu. Inzwischen gab es auch einige Regeländerungen. Damit soll das Risiko vor Gehirnerschütterungen verringert werden. Außerdem sollen sie möglichst schon am Spielfeldrand diagnostiziert - und die Sportler dann entsprechend behandelt werden. Frontale Zusammenstöße mit den Köpfen sind inzwischen weitestgehend verboten. Auch muss bei jedem Spiel ein Neurologe präsent sein, der die Spieler bei harten Stößen nach strengen Vorschriften untersucht. Neuerdings müssen Teams Geldstrafen in Höhe von mehreren Hunderttausend Dollar zahlen und können ihre Rechte an Spielern verlieren, sollte eine Gehirnerschütterung nicht erkannt und der Spieler auf dem Feld gelassen werden. Ebenfalls muss der Athletiktrainer des Teams nun über Funk mit den Mannschaftsärzten in Verbindung bleiben, bis sicher gesagt werden kann, dass der Spieler keine Gehirnerschütterung erlitten hat.

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Als Folge der Sicherheitsmaßnahmen erhöhte sich die Anzahl der diagnostizierten Gehirnerschütterungen zunächst drastisch. Vermutlich, weil zum ersten Mal die Spieler engmaschig beobachtet wurden. Seit dem letzten Jahr ist diese Zahl nun wieder rückläufig. Die Regeländerungen zeigen langsam Wirkung, so hat sich zum Beispiel die Zahl der Kopf-zu-Kopf Kontakte deutlich verringert.

Der Schaden in den Köpfen ehemaliger Spieler bleibt aber trotzdem. Erst kürzlich äußerte sich Bo Jackson, einer der besten Running-Backs in der Geschichte des Footballs, in einem Interview mit der Tageszeitung "USA Today" sehr kritisch. Er sagte, dass er nie Football gespielt hätte, wäre er damals über die Risiken der Sportart informiert gewesen. Außerdem würde er seine Kinder nie Football spielen lassen würde. Sie sollten sich eine andere Sportart aussuchen, Fußball, Basketball, Baseball - egal was, Hauptsache kein Football, da dies zu gefährlich sei.

Verunsicherung im Kinder- und Jugendbereich

Die Entdeckungen haben aber nicht nur auf Tom Brady und seine Mitspieler Auswirkungen. Besonders im Kinder- und Jugendbereich ist die Verunsicherung groß. Der Fakt, dass bei Kindern, deren Gehirn noch in der Entwicklungsphase ist, brutale Schläge gegen den Kopf besonders schädlich sind, schreckt viele.

So ergab eine Umfrage des Public Religion Research Institutes: fast ein Drittel der Amerikaner würden ihre Söhne nicht Football spielen lassen, besonders große Vorbehalte haben dabei Mütter. Amy C., die Mutter eines 10-jährigen Jungen, der bereits seit fünf Jahren Football spielt, sagt offen: "Würde ich meinen Sohn in der High School oder am College Football spielen lassen? Ich bin mir nicht sicher."

Auch in den Kinder-Football-Ligen zeigen sich Auswirkungen der Verletzungsgefahr: seit 2009 sank die Teilnehmerzahl der sechs- bis 12-jähriger Jungen um 20 Prozent. Viele bevorzugen jetzt "Flag Football", eine Variante ohne Körperkontakt. Die Mitgliedszahlen hier stiegen letztes Jahr um fast 9 Prozent.

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Ist Football überhaupt noch zu retten? Was muss getan werden, um das Verletzungsrisiko zu verringern, den Sport sicherer zu machen und damit das Vertrauen der Eltern und Kinder wieder zurückzugewinnen? Das Spiel muss reformiert werden. Football wird heutzutage immer noch so gespielt, wie vor sechzig Jahren, als man noch nichts von den Gefahren von Gehirnerschütterungen wusste. Ansätze, dass Spiel zu verändern, müssen vor allem beim Tackeln – die Methode, Spieler mit Wucht auf den Boden zu werfen - ge-macht werden. Erste High School Coaches stellen ihre Trainingsmethoden um. Getackelt wird nicht mehr mit dem Kopf voran, sondern die Gegner sollen mit Armen und Brust gestoppt werden, ähnlich wie beim Rugby.

Experten raten auch, die Spieler ab-und-an ohne Schoner und Helme trainieren zu lassen, sodass sie ihren Kopf beschützen müssen und nicht damit attackieren können.

Ein großes Problem sind allerdings die Fans. Sie lieben besonders die harten, krachenden Zusammenstöße der Spieler. Wann immer sie passieren, geht ein bewundernder Jubel durch die Stadien. Sie sind es, die die Highlight Shows füllen und die Zuschauer anlocken. Aber genau diese Momente sind es, die Spieler das Leben zur Hölle machen.

Eine Balance zwischen Entertainment und Gesundheit zu finden, ist deswegen schwierig. Entertainment ist, zumindest aus der Sicht der NFL, das Wichtigste am Football. Dies beizubehalten und trotzdem nicht mit dem Leben der Spieler spielen – die große Herausforderung des Sports.

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